BioPharma made in South Germany
Die medizinische Biotechnologie ist gleichermaßen Innovationstreiber wie Wachstumsmotor der weltweiten Gesundheitswirtschaft – und noch sind die Grenzen dieser Zukunftsindustrie nicht erreicht. Biotechnologische Arzneimittel, sogenannte Biopharmazeutika, bergen ein enormes Wachstumspotenzial und bedeuten einen Quantensprung für die Behandlung sowie Lebensqualität vieler schwerkranker Menschen.
Durch die hervorragend vernetzte Unternehmens- und Forschungslandschaft im BioPharma Cluster gelingt es, die Kompetenzen der industriellen und akademischen Akteure optimal zu bündeln, um den hohen wirtschaftlichen, insbesondere aber auch den einzigartigen medizinischen Nutzen der Biotechnologie zugänglich zu machen.
Hightech-Medikamente
Arzneimittel werden heutzutage nicht nur im Chemielabor gewonnen, sondern auch aus lebenden Organismen.
Biopharmazeutika enthalten einen Wirkstoff, der nicht synthetisch, sondern immer biologischer Natur ist und mit Molekülen im menschlichen Organismus identisch oder diesen sehr ähnlich ist. Sie unterscheiden sich sowohl in ihren Eigenschaften als auch der Art und Weise ihrer Herstellung und Verabreichung von den herkömmlichen Arzneimitteln, den „small molecules“.
Letztere können aufgrund ihrer einfachen Struktur und geringen Größe chemisch synthetisiert werden. Biologische Wirkstoffe hingegen werden mit Hilfe lebender Organismen wie Bakterien, Hefen oder pflanzlichen und tierischen Zellen produziert, die gentechnisch so verändert wurden, dass ihr Erbgut den Bauplan (Gen) für das gewünschte Wirkstoffmolekül enthält. Klassische chemisch synthetisierte Arzneimittel unterscheiden nicht zwischen kranken und gesunden Zellen. Biopharmazeutika hingegen zielen spezifisch auf bestimmte Merkmale, Signal- und Stoffwechsel. Sie werden immer injiziert und gelangen so direkt in den Organismus des Patienten.
Im weiteren Sinn zählen zu den biopharmazeutischen Wirkstoffen auch kleine biologische Moleküle wie Peptide (Proteinbausteine) oder Nukleoside/Nukleotide (Bausteine der Erbsubstanz DNA oder RNA), die aufgrund ihrer Größe auch chemisch herstellbar sind.
Konkurrierende Biopharmazeutika am Markt
Originalpräparate der 1. Generation
Da ist zunächst das erste Originalpräparat, mit dem ein neues Therapieprinzip in die Behandlung einer bestimmten Krankheit eingeführt wurde. Neben diesem kann es noch weitere Originalpräparate der 1. Generation geben, die von anderen Unternehmen unabhängig vom ersten für die gleiche Anwendung mit vollem Studienprogramm entwickelt wurden.
(Quelle: vfa-Broschüre „Biopharmazeutika. Hightech im Dienst der Patienten“ (Stand: Dez. 2010), S. 13f.)
Biosimilars
Nicht mehr patentgeschützter Biopharmazeutika können von anderen Herstellern nachgebaut werden. Hierbei gilt es ebenso das Wirkstoffmolekül wie auch den biotechnologischen Herstellungsprozess zu reproduzieren. Biologische Wirkstoffe sind aufgrund der Komplexität ihrer Produktion und ihres Ursprungs aus lebenden Zellen einzigartige biotechnologische Produkte und können nicht exakt kopiert werden. Deshalb werde diese Nachahmer- bzw. Nachfolge-Produkte als Biosimilars bezeichnet: Sie sind nicht identisch mit dem Originalpräparat, sondern diesem lediglich ähnlich (eng. similar = ähnlich). Zu jedem Originalpräparat kann es mehrere Biosimilars von verschiedenen Herstellern geben.
Originalpräparate der 2. Generation
Schließlich kann es auch noch Originalpräparate der 2. Generation geben. Sie dienen zwar dem gleichen Anwendungszweck, sind aber dank gezielter Veränderungen an Wirkstoff oder Formulierung in einigen Kriterien den Präparaten der 1. Generation überlegen. Biosimilars zu dieser Präparategeneration dürfen ebenfalls erst nach Patentablauf vermarktet werden.
(Quelle: vfa-Broschüre „Biopharmazeutika. Hightech im Dienst der Patienten“, Stand: Dez. 2010, S. 13f.)
Zweitmarken
Jedes der genannten Präparate – sei es ein Biosimilar oder ein Originalpräparat – kann nicht nur mit einer Erstmarke, sondern auch noch mit ein oder mehreren Zweitmarken in Erscheinung treten: In diesem Fall unterscheiden sich zwar die Produktnamen und Vertriebsfirmen, die Produkte selbst kommen jedoch aus ein und derselben Produktionsstätte und sind somit identisch – und folglich auch untereinander automatisch substituierbar. Solche Zweitmarken werden angemeldet, um weitere Firmen in die Vermarktung einbeziehen zu können.
(Quelle: vfa-Broschüre „Biopharmazeutika. Hightech im Dienst der Patienten“, Stand: Dez. 2010, S. 13f.)
Mikroorganismen als Produzenten für Wirkstoffe
Große, komplexe Moleküle
Eine Gegenüberstellung verdeutlicht, wie groß und komplex Biopharmazeutika im Vergleich zu gängigen chemischen Arzneimitteln sind. So bringt es das chemisch hergestellte Schmerzmittel ASS, das aus lediglich 21 Atomen besteht, auf ein Molekulargewicht von 180 Dalton. Auf der anderen Seite umfassen biotechnologisch bzw. gentechnisch hergestellte Wirkstoffe viele hunderte bis mehrere zehntausend Atome und erreichen ein sechsstelliges Molekulargewicht. Doch auch innerhalb der Gruppe der Biopharmazeutika finden sich große Unterschiede. Ein einfaches rekombinantes Protein wie Insulin aus 51 Aminosäuren (AS) ist beispielsweise etwa 25 Mal kleiner als ein monoklonaler Antikörper aus über 1000 AS.
Der Prozess ist das Produkt
Biopharmazeutika gehören hinsichtlich Entwicklung und Herstellung zu den zeitintensivsten und kompliziertesten Arzneimitteln. Der Entwicklungs- und Herstellungsprozess kann mehrere Wochen in Anspruch nehmen. Durch ihre enorme Größe und Komplexität lassen sie sich nicht in chemischen Laboren herstellen. Vielmehr werden sie in großen Edelstahlbehältern – den Fermentern – wie man sie beispielsweise auch aus der Bierherstellung kennt, in aufwändigen Fermentationsprozessen von in Kultur gehaltenen lebenden Organismen produziert und dann aus diesen isoliert und aufgereinigt. Je nach Art des Wirkstoffs, werden als gängige Produktionsorganismen beispielsweise Coli-Bakterien, Bäckerhefe, Säugetierzellen (v.a. CHO-Zellen und BHK-Zellen) und Insektenzellen eingesetzt.
Neben den anspruchsvollen Entwicklungs- und Herstellungsprozessen unter Einsatz lebender Zellsysteme sind ebenso hochtechnisierte Verfahren und Anlagen zur Haltbarmachung und Abfüllung erforderlich. Denn ehe die gewonnenen Wirkstoffe beim Patienten zum Einsatz kommen, müssen sie in einem keimfreien Umfeld in sterile Behältnisse abgefüllt sowie gekühlt, tiefgefroren oder gefriergetrocknet gelagert werden.
Sowohl die biologischen Wirkstoffe selbst wie auch die Produktionsorganismen reagieren hochsensibel auf kleinste Änderungen in pH-Wert, Temperatur, Nährstoffzusammensetzung oder anderen Produktionsbedingungen. Deshalb gelten entlang der gesamten Wertschöpfungskette höchste Ansprüche an die Qualitätssicherung. In allen Etappen der Entwicklung und Produktion müssen analytische Methoden eingesetzt werden, welche die Wirkung des Arzneimittels auf einem gleichbleibend hohen Niveau gewährleisten und die Sicherheit für den Patienten belegen. Das gilt auch für die Nachahmer-Präparate, die Biosimilars, deren Produktion nicht weniger kompliziert ist.
Biologische Wirkstoffe der heutigen und nächsten Generation
Den Biopharma-Markt dominieren gegenwärtig rekombinante Proteine, Antikörper und Impfstoffe.
Aber mit neuartigen biologischen Wirkstoffen wächst die nächste Generation an Biopharmazeutika heran.
Das erste kommerzielle und für therapeutische Zwecke zugelassene Biopharmazeutikum, ein in E. coli hergestelltes humanes Insulin, kam 1982 auf den Markt. Wenige Jahre später wurde das erste Erythropoetin ebenfalls aus rekombinanter DNA-Technologie hergestellt – ein bedeutender Schritt für Patienten an der Dialyse. Nach den ersten rekombinanten körpereigenen Wachstumsfaktoren und Immun-Botenstoffen und Insulinanaloga folgten rekombinante Antikörper. Die Fülle zugelassener biopharmazeutischer Wirkstoffe reicht somit von Hormonen wie Insulin und Wachstums- oder Geschlechtshormonen über Enzyme, Gerinnungsmodulatoren, Interferone, Epoetine bis hin zu Impfstoffen, Antikörpern und anderen therapeutischen Proteinen.
Die derzeit noch vorherrschenden Wirkstoffklassen sind Antikörper, gefolgt von Impfstoffen. Beide machen zusammen knapp 50% der derzeit deutschlandweit zugelassenen Biopharmazeutika aus. Inzwischen steht jedoch bereits die nächste Generation fortschrittlicher biotechnologischer Arzneimittel vor der klinischen Anwendung und hat das Potenzial, die Art und Weise, wie wir Krankheiten behandeln, grundlegend zu verändern.
Neue Perspektiven der Behandlung
Biopharmazeutika bereichern das Arsenal wirksamer Arzneimittel in Bereichen mit hohem medizinischen Bedarf.
Biotechnologisch hergestellte Arzneimittel sind in der modernen Medizin unverzichtbar geworden. Fast jedes zweite in Deutschland neu zugelassene Medikament ist inzwischen ein biologisches. Sie werden zur Behandlung schwerer und lebensbedrohlicher Krankheiten weltweit eingesetzt, Tendenz seit Jahren steigend.
Die drei bedeutendsten Anwendungsgebiete sind Autoimmunkrankheiten, Krebserkrankungen und Stoffwechselerkrankungen. Sie machen zusammen 75% des biopharmazeutischen Gesamtumsatzes in Deutschland aus.
Wichtige Anwendungsgebiete
Wichtige Bereiche, in denen Biopharmazeutika derzeit zum Einsatz kommen, sind vor allem verschiedene Autoimmunkrankheiten wie Multiple Sklerose oder Rheuma, aber auch Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes, Gerinnungsstörungen, Atemwegserkrankungen, Osteoporose sowie Leukämie und andere Krebserkrankungen.
Darüber hinaus stammen verschiedene Impfstoffe gegen Hepatitis B, Tetanus, Diphtherie, Gebärmutterhalskrebs oder Hirnhautentzündungen ebenso aus gentechnischer Herstellung wie solche gegen Cholera, Grippe und Papilloma-Viren. Auch ein gentechnisch gewonnener Ebola-Impfstoff wurde inzwischen zugelassen.
- Immunologie (Autoimmunerkrankungen außerhalb des ZNS) : mAbs (TNF-Inhibitoren) gegen Rheumatoide Arthritis oder Schubbenflechter
- Krebserkrankungen (Onkologie): mAbs gegen solide sowie hämatologische Tumore z.B. Leukämie, Brust- oder Darmkrebs
- Stoffwechselerkrankungen: z.B. Insuline für Diabetiker; Enzyme gegen angeborene Stoffwechselstörungen
- Erkrankungen des zentralen Nervensystems: z.B. Immunmodulatoren (Beta-Interferon-Präparate) und monoklonale Antikörper (mAbs) gegen Multiple Sklerose
- Sinnesorgane: mAbs bei Altersblindheit
- Hämatologie (Gerinnungsstörungen): z.B. Gerinnungsfaktoren gegen Hämophilie
- Infektionserkrankungen: Impfungen z.B. gegen Gebärmutterhalskrebs, Hepatitis B oder Gürtelrose
- Atemwegserkrankungen: z.B. mAbs gegen Asthma
- Herk-Kreislauf-Erkrankungen: z.B. Thrombolytika gegen Schlaganfall und Herzinfarkt
- Andere: z.B. Wachstumsfaktoren: Minderwuchs
Eine große Zahl an schwerkranken Patienten, die bisher mit traditioneller Medizin – den Small Molecules – nicht erreichbar waren, können mit Biopharmazeutika therapiert werden. Nichtsdestotrotz besteht noch viel ungedeckter medizinischer Bedarf, der die Erforschung und Entwicklung neuartiger biologischer Therapieansätze vorantreibt. Diese nächste Generation an Biopharmazeutika, darunter etwa Gentherapeutika, eröffnet therapeutisch völlig neue, wirksamere Möglichkeiten und bietet durch eine bisher unerreichte Effizienz sowie Präzision das Potenzial, die Medizin mit maßgeschneiderten, zielgerichteten sowie möglicherweise erstmals kurativen Therapien zu bereichern.
Mit Biotech gegen Corona
Große Bekanntheit und Bedeutung haben in Zeiten der Corona-Pandemie außerdem neuartige Impfstoffe erlangt. So rechnet der Verband forschender Arzneimittelhersteller damit, dass Medikamente gegen Infektionskrankheiten ein Viertel oder sogar mehr der Neueinführungen von 2021 ausmachen werden. Das liegt auch, aber nicht nur an den zu erwartenden Zulassungen weiterer Impfstoffe und Medikamenten gegen COVID-19: So laufen die Forschungen an Antikörpern auf Hochtouren, die entweder die Pandemie-Viren bekämpfen oder bei schwer erkrankten Patientinnen und Patienten das Immunsystem bremsen, wenn es überreagiert.
Stark wachsende Zukunftsindustrie
In Deutschland hat sich die Menge zugelassener Biopharmazeutika seit 2005 nahezu verdoppelt.
Seitdem vor rund 40 Jahren das erste Biopharmazeutikum zugelassenen wurde, steigt die Anzahl der jährlich zugelassenen biotechnologisch hergestellten Arzneimittel stetig. Über 300 Biopharmazeutika wurden in Deutschland bereits zugelassen und die Pipeline ist mit 640 klinischen Entwicklungskandidaten weiterhin gut gefüllt. Von allen bislang zugelassenen Wirkstoffen werden 12 % gentechnisch hergestellt; von den jährlich neu eingeführten Wirkstoffen sind es mittlerweile rund die Hälfte.
Der Biotech-Standort Deutschland ist europaweit führend und produziert nach den USA weltweit die meisten Biopharmazeutika. Von 239 in der EU zugelassenen Wirkstoffen werden 41 in Deutschland hergestellt. Im nationalen Vergleich nimmt der BioPharma Cluster die Spitzenposition ein: mehr als die Hälfte der EU-weit zugelassenen biopharmazeutischen Wirkstoffe stammen hier aus der Region zwischen Ulm und Bodensee.
Wachstumsmotor Biotechnologie
Die deutsche Biopharma-Branche befindet sich auf Wachstumskurs. In 2019 wurden hierzulande 15 Biopharmazeutika neu zugelassen. Das entspricht 45% aller Neuzulassungen und zeigt den einzigartigen medizinischen sowie wirtschaftlichen Stellenwert, den biologische Wirkstoffe mittlerweile einnehmen. Der deutsche Biopharma-Markt setzte im Jahr 2019 insgesamt 12,7 Mrd. EUR um. Mit dieser Umsatzsteigerung von 13% gegenüber dem Vorjahr wächst die Branche in Deutschland fast doppelt so schnell wie der gesamte deutsche Pharmasektor. Knapp ein Drittel des Gesamtmarktes entfallen derzeit auf Biopharmazeutika, wobei immunologische Indikationen ihren größten Einsatzbereich bilden, gefolgt von Stoffwechselkrankheiten und onkologischen Indikationen.
Der erfolgreiche Vormarsch der medizinischen Biotechnologie zeigt sich auch im globalen Aufschwung der Branche. Bereits 2019 erzielten Biopharmazeutika weltweit einen Umsatz von 266 Mrd. US-Dollar. Laut Prognosen von Evaluate Pharma (World Preview 2020, Outlook to 2026, 13th Edition) wird bis 2026 ein Anstieg auf über 500 Mrd. US-Dollar erwartet. Biotechnologisch hergestellte Arzneimittel werden im Jahr 2026 somit schätzungsweise einen Umsatzanteil von 35% am globalen Pharmamarkt erreichen und mehr als die Hälfte der Top-100 umsatzstärksten Arzneimittel ausmachen.
Wissen, was im BioPharma Cluster und der Branche los ist.