Künstliche Bauchspeicheldrüse für Diabetes- und Krebsforschung
Ulmer Forschenden ist es erstmals gelungen, die Bauchspeicheldrüse in der Kulturschale zu Organoiden zu züchten und zwar mit ihren drei wesentlichen Zelltypen, den endokrinen, duktalen und azinären Zellen.
Das Besondere der jahrelangen Forscherarbeit erklärt Alexander Kleger: „Bisher gab es keinerlei verlässliche Methoden, um überhaupt Azinuszellen ‚herzustellen‘, geschweige denn diese simultan aus den gleichen Vorläuferzellen hervorzubringen wie die beiden anderen Zelltypen“. Kleger ist Direktor des Instituts für Molekulare Onkologie und Stammzellbiologie am Universitätsklinikum Ulm und hat die jüngst veröffentlichte Studie geleitet.
Die Azinuszellen der Bauchspeicheldrüse produzieren und sekretieren ihren enzymreichen Verdauungssaft in den Dünndarm, wo sie die Fette, Kohlenhydrate, Eiweiße und Nukleinsäuren unserer Nahrung zerlegen.
Vielversprechende 3D-Modelle
Organoide sind dreidimensionale, aus adulten oder pluripotenten Stammzellen in der Kulturschale entwickelte Zellstrukturen, die Organe nachbilden und diesen in Zellzusammensetzung und Funktion ähneln.
Die Bandbreite der Organe, die mit diesen künstlichen Mini-Organen erforscht werden können, umfasst inzwischen Gehirn, Darm, Niere, Magen, Lunge, Leber, Prostata, Speiseröhre, Gallenblase und den weiblichen Reproduktionstrakt und daneben auch den Embryo (Embryoide, zitiert nach White Paper Organoide, S. 13)
Organoide können für die Grundlagenforschung eingesetzt werden und sind vielversprechend für verschiedene Bereiche der Medizin, z. B. für Medikamentenscreenings und Toxizitätstests, aber auch zur Vorhersage individueller Arzneimittelreaktionen. Organoide könnten nach Ansicht von Fachleuten auch manche Tierversuche erübrigen. (vgl. White Paper Organoide, S. 5)
Premiere: Embryonalentwicklung des Pankreas modellierbar
Mit den Organoiden der Bauchspeicheldrüse lässt sich nach Überzeugung der Forschenden erstmals die Embryonalentwicklung des Organs in vitro modellieren, woraus sich neue grundlegende Erkenntnisse für die Diabetes- wie auch für die Krebsforschung ergeben könnten: „Durch gezieltes An- und Abschalten von Signalwegen, die für die Pankreasentwicklung eine Rolle spielen, können wir schrittweise die Stadien der Embryonalentwicklung in der Zellkultur nachahmen, um so die jeweiligen Zellarten der Bauchspeicheldrüse zu züchten“, so Sarah Merz, Erstautorin der Studie und wissenschaftliche Mitarbeiterin an Klegers Institut.
Vorteile für Forschung zu Pankreastumoren
„Mit diesem Modell, das alle drei Zelllinien des Pankreas umfasst, können die Auswirkungen von Mutationen zelltypspezifisch untersucht werden“, so Kleger. Dies bringe große Vorteile für die Forschung zu Pankreastumoren. Da 98 Prozent aller Karzinome der Bauchspeicheldrüse den exokrinen Teil des Pankreas betreffen, sei es umso wichtiger, in der Forschung auf Modellorganoide zurückgreifen zu können, die auch exokrine (also nach außen abführende) Zellen umfassen. Beim duktalen Adenokarzinom, das wegen seiner hohen Sterblichkeitsrate gefürchtet ist, ist insbesondere das Drüsengewebe betroffen. (wp)
Weiterführende Infos:
Pankreas-Organoide aus Stammzellen: Künstliche Bauchspeicheldrüse für die Forschung, Pressemitteilung Universität Ulm, 11.04.2023
White Paper. Organoide – von der Stammzelle zur zukunftsweisenden Technologie. Stand der Forschung, Kernaussagen und politische Handlungsempfehlungen zur Organoidtechnologie. Hrsg. von Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Gentechnologiebericht der BBAW und German Stem Cell Network (GSCN), 2020
Frank Arnold/ Alexander Kleger: Modellsysteme in der gastroenterologischen Forschung. Vom Tiermodell über humane Organoide in die Klinik, in: Pathologe 2021 · 42 (Suppl 2): S. 149–S. 154.
Überblicksinformation zum Organ Bauchspeicheldrüse
Überblicksinformationen des Deutschen Krebsforschungszentrum zu Pankreaskarzinom