Zukunftsmedizin Virus-basierte Therapeutika
Mit neuartigen virus-basierten Therapien beschäftigte sich jüngst eine Tagung im Ulmer Stadthaus, die vom BioPharma Cluster South Germany und der Gesellschaft für Biochemie und Molekularbiologie veranstaltet wurde.
Unser Bild zeigt die Vortragenden des Industrie-Blocks, v.l. Kai Lipinski, Susanne Bailer, Jan Schöning, Moderator und Organisator Uwe Bücheler vom BioPharma Cluster South Germany, Robert Panting sowie Wolfram Carius. Foto: BioPharma Cluster
Neue Säule der medizinischen Versorgung?
Zell- und Gentherapien (CGT), worunter virus-basierte Therapien fallen, haben nach Expertenmeinung großes Potential für die Verbesserung der Gesundheit und Lebensqualität von Patientinnen und Patienten weltweit.
Viele der 10.000 als nicht behandelbar geltenden Erkrankungen könnten möglicherweise mit diesen neuartigen Therapien erfolgreich behandelt und sogar geheilt werden. Noch zielen diese Ansätze auf seltene und sehr seltene Krankheiten, mittelfristig könnten auch größere Patientengruppen davon profitieren.
Von den Grundlagen, der Entwicklung und Herstellung bis zur Klinik
Fachleute aus Wissenschaft, Wirtschaft und Beratung spannten im Ulmer Stadthaus den Bogen von der grundlagenorientierten Forschung bis hin zur industriellen Anwendung: Im Fokus standen weltweite Marktentwicklungen, aktuelle Forschungsansätze und Studien im industriellen Maßstab für deren Produktion und klinischer Anwendung.
Vertreter aus medizinischer Forschung, Industrie und Patientenvertretung diskutierten abschließend die Frage, wie sich die Gen- und Zelltherapie (CGT) allgemein und im Besonderen für Deutschland entwickeln könnte.
Geht die Kurve wieder nach oben?
Cornelius Klöck von McKinsey versuchte mit Hilfe des Technologielebenszyklusmodells das CGT-Wettbewerbspotential zu beschreiben. Dem anfänglichen Hype gefolgt sei eine Phase der Konsolidierung mit Herausforderungen in Entwicklung, Herstellung, Sicherheit oder Kapitalknappheit. Klöcks Ausblick fiel verhalten positiv aus: volle Entwicklungspipelines und bevorstehende Produkteinführungen stünden Herausforderungen bei Marktzugang, Herstellung und Wettbewerbsdruck weiter entgegen. Bei Fortschritten in Wissenschaft und größeren Patientenpopulationen könnte die Kurve für CGT rasch nach oben gehen.
Zelltherapien gegen Krebs
Über die Herstellung von CAR-Effektorzellen berichtete Ulrike Köhl vom Fraunhofer Institut für Zelltherapie und Immunologie Leipzig/ Institut für Klinische Immunologie des Leipziger Uniklinikums. Diese neuartige Krebstherapie, die genetisch modifizierte Immunzellen gegen Tumorzellen richtet, wird aktuell bei bestimmten Leukämien und Lymphomen eingesetzt. Momentan werden 1.000 klinische Studien weltweit durchgeführt, sechs CAR-T-Produkte sind zugelassen. Köhl berichtete über Bestrebungen, den hochkomplexen Herstellungsprozess zu automatisieren, zu patientenfremden Immunzellen (Natürliche Killerzellen) zu wechseln und über Alternativen zum nicht-viralen Gentransfer (mRNA und Sleeping Beauty).
Mit onkolytischen Masernviren solide Tumoren bekämpfen
Guy Ungerechts, Leiter der klinischen Kooperationseinheit Virotherapie des Nationalen Zentrums für Tumorerkrankungen Heidelberg (NCT), stellte in seinem Vortrag onkolytische Viren als multimodale Strategie der Gentherapie zur Überwindung der Resistenz bei Immuntherapien. Die Fünfjahres-Überlebensrate bei den meisten fortgeschrittenen festen Tumoren sei gering, weil sie sich einer Immuno-Therapie entziehen. Onkolytische, von Impfstammviren abgeleitete Masern-Viren als Plattform für Krebs-Immuntherapie bieten laut Ungerechts eine sehr vielseitige Plattform für die gezielte Immunmodulation. Kombinatorische Ansätze unter Einbeziehung von OV's und z.B. personalisierte RNA-Mutanom-Impfstoffe, ACT, Bispecifics, RTx, oder Exosomen) werden zukünftige Immuntherapieansätze weiter verbessern.
Wie lässt sich erste Abwehrlinie nutzen?
Frank Kirchhoff, Leiter der Molekularen Virologie am Ulmer Uniklinikum, stellte Restriktionsfaktoren in den Mittelpunkt seines Vortrages. Diese erste angeborene Abwehrlinie gegen virale Infektionen ist konstitutiv in einer Vielzahl von Zellen ausgeprägt.
Die zellulären Proteine sind längst noch nicht alle entdeckt und lassen sich, so Kirchhoff, für eine sichere und wirksame antivirale Therapie nutzen, desgleichen können sie die Produktion und Qualität viraler Vektoren beschränken.
Bessere Transformation in Deutschland erforderlich
Wolfram Carius von Bayer benannte in seiner Key Note die Chancen und Herausforderungen der Zell- und Gentherapie. Die Biopharmazie in Europa hinke in der Entwicklung hinterher: In Deutschland mangele es nicht an Erfindungen, vielmehr brauche es eine bessere Transformation. Carius appellierte an Schlüsselakteure aus Wirtschaft und öffentlicher Hand zum Handeln, um eine kritische internationale Größe und Infrastruktur zu schaffen, die für einen nachhaltigen Erfolg erforderlich sei. Um einen Größenvergleich anzuführen: 17 % der Phase 1-3-Entwicklungen finden in Europa statt, 50 % in den USA und 20 % in China.
Gewaltige Herausforderungen bei Entwicklung und Herstellung
Virusbasierte Modalitäten bieten nie dagewesene Möglichkeiten, für die Patienten, aber auch nie dagewesene Herausforderungen, auf diesen Nenner brachte es Jan Schöning von (Boehringer Ingelheim. Er stellte die onkolytische Virus-Plattform des Unternehmens vor. nannte die Entwicklung und Herstellung virusbasierter Therapeutika in Anlehnung an deren Molekülgewicht (100.000 mal größer als Aspirin) gewaltig. Herausfordernd seien, was Schöning anhand von Beispielen zeigte, unter anderem die Skalierbarkeit und Prozessrobustheit, die Formulierung und Stabilität einer Viruspartikel enthaltenden Flüssigkeit, aber auch deren analytische Charakterisierung und genetische Stabilität.
Susanne Bailer, Leiterin der Fraunhofer-Einheit Virus-basierte Therapeutika in Biberach, stellte die im Aufbau befindliche Außenstelle vor, die im April 2024 ihre Arbeit aufgenommen hat. Virus-Technologien, Zelltechnologien und Prozesstechnologien sind Bailers Worten zufolge die thematischen Schwerpunkte in den Biberacher Laboren.
Robert Panting von Rentschler Biopharma berichtete in einer Fallstudie von den Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität von AAV (adeno-assoziierte Viren)-Vektoren. Entscheidend für eine frühzeitige Risikominderung bei der Durchführbarkeit der Produktion im Upstream seien Messungen der kritischen Qualitätsattribute (CQA). Sich ausschließlich auf virale Genome und virale Partikel zu verlassen, könne irreführend sein, während das Warten auf die Skalierung eines DSP-Prozesses kostspielig sein kann.
Was Auftraggeber aus Biotech und Pharma über die Herstellung eines onkolytischen Adenovirus für klinische Studien berücksichtigen sollten, darüber berichte Kai Lipinski vom ReciBioPharm, der Bio-Einheit des weltweit tätigen CDMO Recipharm aus Cuxhaven.
Wie gelingt die Umsetzung in Produkte?
Viele der neuartigen Präparate sind zwar für deutsche Patienten zugänglich. Keines aber wurde hier entwickelt. Denn bei der Kommerzialisierung der grundlagenorientie0rten Forschung zu Produkten für die klinische Versorgung hapert es weiterhin. Die Translation verbessern soll eine nationale Strategie, die im Sommer vorgestellt wurde und von einigen Initiatoren in Ulm vorgestellt wurde.
Stephan Stilgenbauer, Leiter des Comprehensive Cancer Center vom Uniklinikum Ulm sowie der Ulmer Norman Roßberg, Mitglied im Patientenforschungsrat des National Tumor Center Südwest, nahmen auf dem Podium die Perspektive der Patienten in den Blick.
AI Thema der Tagung im kommenden Jahr
Mit der (R)evolution, die Künstliche Intelligenz und Digitalisierung für Arzneimittelentwicklung und Herstellung haben, beschäftigt sich die 4. Netzwerkveranstaltung. Sie findet am 5. Dezember 2025 wieder im Stadthaus Ulm statt und wird wieder vom BioPharma Cluster South Germany und der Gesellschaft für Biochemie und Molekularbiologie organisiert.