„Das hat sich wunderbar ergänzt“

Rentschler Biopharma und Vetter, zwei zentrale Akteure des BioPharma Cluster South Germany, arbeiten künftig enger zusammen. Anfang Juli gaben beide Unternehmen ihre strategische Zusammenarbeit bekannt.

Im Exklusiv-Interview standen die beiden Geschäftsführer Dr. Frank Mathias (Rentschler Biopharma) und Peter Sölkner (Vetter) im neuen Ravensburger Headquarter von Vetter Rede und Antwort.

Wir veröffentlichen hier Teil 2 des Interviews.

Im Gespräch mit...

mit Peter Sölkner & Dr. Frank Mathias

In Ihrer gemeinsamen Pressemitteilung sprechen Sie, Herr Dr. Mathias, davon die „Grenzen dessen zu erweitern, was in der biopharmazeutischen Produktion möglich ist.“ Können Sie das erläutern?

Mathias:
Was unsere beiden Unternehmen antreibt, das ist höchstmögliche Qualität. Die ist garantiert, wenn zwei Top-Partner zusammenkommen. Hinzu kommt, dass diese große Bandbreite von Formaten, die Vetter anbieten kann, in den Märkten eine immer größere Rolle spielt. Medikament und Verabreichungsform wachsen immer enger zusammen, so dass das Medikament Teil der Verabreichung und Formulierung ist. Mit der ganzen Erfahrung von Vetter können wir für Kunden Top-Produkte entwickeln. Und schließlich die Schnelligkeit: Alles ist aufeinander abgestimmt und optimiert, die Prozesse abgeglichen, die Menschen kennen sich, sprechen dieselbe Sprache, sind nah beieinander und haben als Familienunternehmen ein sehr ähnliches Mindset. Das sind aus unserer Sicht alles Wettbewerbsvorteile. Die Kunden reagieren sehr positiv, sprechen uns schon darauf an. Wir hatten ja schon gemeinsame Kunden, ohne diese Schnittstellen. Jetzt freuen sich diese Kunden erst recht.

 


Sölkner:
Spinnt man das Ganze ein bisschen weiter, sind wir bei Vetter vielleicht drei, vier Jahre von dieser dritten Biotech-Welle entfernt. Bei Rentschler Biopharma taucht das logischerweise stets früher auf. Beispiel Viral Vectors: das ist hochgradig sensibel, dazu bräuchte es ganz kleine Gebinde, total unbemannte Abfüllzellen und anstelle von Sterilisationsmedien bräuchte es eine Reinraumtechnologie. Das sind alles Dinge, die man technologisch angehen muss. In unserem Development Service könnten wir eine ganze Menge leisten, auch mit unserem Engineering, um uns auf diese nächste Welle Biotech einzustellen. Bis jetzt aber habe ich noch nicht viele Firmen gefunden, die robuste Industrieprozesse in diesem Gebiet aufstellen. Ich denke, da haben unsere beiden Unternehmen eine ganze Menge Potential und Know how, wie man das tun könnte.

 


Mathias:
Lassen Sie mich noch etwas ergänzen zum Thema Formulierung. Wir wissen alle, dass diese Proteine sehr instabil sind und je komplexer sie werden, desto instabiler werden sie. Wir werden gemeinsam unsere Ideen zusammenbringen, wie wir bessere Formulierungen zuwege bringen. Das werden wir möglicherweise mit Leukocare (mit dem Martinsrieder Formulierungsspezialisten verbindet Rentschler Biopharma seit Anfang 2017 eine strategische Allianz und hält auch Anteile daran, d. Red.) machen und sicherlich auch im Verbund. Wir werden uns auch Gedanken machen zu Sekundärverpackung. Da haben wir viele Ideen dazu, wie Sekundärverpackungen in der Zukunft aussehen können. Da können wir dem Markt sehr innovative Ideen bringen.

Sölkner:
Es geht bis hin zu den logistischen Prozessen. Warum sollen beide Firmen ein großes Lager oder Zwischenlager bauen, wenn etwas rationalisiert werden könnte. Aber auch hier gilt: Es wird immer Kunden geben, die entweder nur bei Rentschler Biopharma oder nur bei Vetter sind. Wir wollen eine Plattform für die Kunden schaffen, von A bis Z sozusagen, die ihnen alles vom Wirkstoff bis zum abgefüllten und verpackten Produkt liefert, eine Serviceleistung in hoher Komplexität und auf einer sehr schnellen Zeitschiene.

 

Beide Firmenhauptsitze liegen rund 60 km auseinander, das erleichtert die Kooperation. Diese erstreckt sich aber auch auf Ihre anderen Standorte, oder?


Sölkner:
Wir fangen jetzt erst mal zu laufen an, bevor das Rennen losgeht. Ja, das ist durchaus möglich. Beide Firmen haben in Nordamerika jeweils eine Vertretung. Wenn sich da Projekte ergeben, würden wir diese natürlich auch nutzen. Wir haben zunächst wie geplant mit interdisziplinären Teams zwischen Laupheim und Ravensburg gestartet. Das wollen wir jetzt mit unseren Headquarters zusammen mit einigen Kunden vorleben. Wir werden das jetzt noch systematischer zusammenführen. Dazu haben wir schon ein Programm entwickelt und werden dies ausrollen. In der Tat sehen wir das dann wie unsere übrigen Aktivitäten global.
 

 


Mathias:
Das ist zunächst gut für die Region. Es ist ja die gleiche Region, da tut sich momentan sehr viel. Deutschland entwickelt sich im Vergleich zu vielen anderen Ländern als ein Standort für biopharmazeutische Produktion und auch Abfüllung. Da tut sich etwas in der Welt. Die Lieferketten bewegen sich Covid-bedingt langsam. Wir spüren, dass es wieder mehr Richtung Europa geht. Viele Kunden sagen jetzt, dass sie lieber in Europa produzieren würden. All das wird uns entgegenkommen.

 

Die Entwicklung von Arzneimitteln ist nicht erst seit gestern komplex und kostspielig. Gibt es spezielle Trends im Biopharma-Markt, die Ihre Entscheidung notwendig machten?

Mathias:
Es gibt einen klaren Trend zum Outsourcing, auch bei den größten Firmen dieser Welt, die zumindest Teile ihrer Produktion immer öfter in die Hände von CDMO und damit in die Hände von Spezialisten geben. Wir werden jetzt oft als die lange CMC (Contract Manufacturing and Control)-Werkbank gesehen, auch von vielen großen Unternehmen, weil es so kostspielig ist, weil die Moleküle immer komplexer geworden sind. Man kann ein EPO nicht mit einem trifunktionalen Antikörper vergleichen. Deswegen überlassen das die Firmen lieber den Spezialisten. Das spüren wir beide. Oder eine second source zu haben, gerade in Bezug auf Sicherheit in Covid-Zeiten.

Sölkner:
Absolut. Auch einen Standort in Europa zu haben, wirkt sich schon positiv aus.

 

Arzneimittel für neuartige Therapien wie Gen- und Zelltherapien versprechen viel Wachstumspotenzial für den Biotech-Standort Deutschland. Kann man aus Ihrer Zusammenarbeit Impulse für diese neue Generation von Biopharmazeutika erwarten?

Rentschler befasst sich dem Vernehmen nach ganz intensiv mit diesem Thema.

Mathias:
Wir beschäftigen uns in der Tat sehr intensiv mit ATMPs und stehen auch vor kurzfristigen Entscheidungen. Wir werden in ein paar Wochen entscheiden, ob wir in dieses Feld hineingehen. Ich sag es mal, wie es war: Ich habe Herrn Sölkner angerufen, dass wir die Idee auf dem Tisch haben, ob das auch Teil unserer strategischen Zusammenarbeit sein könnte. Und Herr Sölkner antwortete: das müssen wir uns sofort anschauen.

Sölkner:
Das erinnert mich an die Strategie-Diskussionen bei Vetter vor sechs, sieben Jahren. Da konnten Sie den antibody drug conjugates (ADC) gar nicht ausweichen, weil überall darüber gesprochen wurde. Über 60, 70 Produkte waren damals in den Pipelines. Wenn ich richtig informiert bin, haben nur knapp eine Handvoll die Zulassung geschafft. Was wäre geschehen, wenn wir für diesen Markt gleich ein neues Werk gebaut hätten, weil sich diese ADCs nicht in anderen Multi-Purpose-Linien fertigen lassen? Das hätte eine Menge Geld gekostet bei einem unsicheren Ausgang. Es zeichnet unsere Unternehmen aus, dass wir uns sehr genau überlegen, was wir mit wem machen, vernünftig wirtschaften, und sicherlich nicht irgendwelche ‚Highroller‘ sind, die auf extrem hohes Risiko setzen.

Mathias:
Ja, das ist unsere Motivation: In diesen komplexen Märkten glauben wir an die Stärken von Synergien und von Allianzen.

 

Vetter und Rentschler sind Familien-Unternehmen und nicht an der Börse notiert. Was bedeutet das für Ihre Zusammenarbeit?

Sölkner:
Recht schnelle Entscheidungen. Wir haben einen Beirat, in dem bei Vetter wie Rentschler Biopharma auch die Familie sitzt. Dort können wir sehr schnell über solche Ideen berichten und sagen, davon sind wir überzeugt, so machen wir das. So wurde der Vorschlag für eine strategische Zusammenarbeit auch vom Beitrat angenommen, der sich das absolut vorstellen konnte. Deshalb haben wir auch alle Möglichkeiten in der Zusammenarbeit. Da sind wir schneller, als wenn man das durch zig Gremien bringen und vielleicht auch noch die Aktionäre fragen muss.
 
Mathias:
Der zweite wichtige Aspekt ist die Nachhaltigkeit. Wir können langfristig denken, was als börsennotiertes Unternehmen nicht so machbar ist.

 

Welche Impulse und Auswirkungen hat es, wenn zwei zentrale Cluster-Mitglieder über allgemeine Ziele hinaus gemeinsame Sache machen?

Sölkner:
Hoffentlich hat das eine Leuchtturm-Funktion. Denn dieser Cluster hat weitere tolle Firmen wie Boehringer Ingelheim oder Teva. Vielleicht hat unsere Zusammenarbeit eine Signalwirkung, dass man über das eine oder andere weitere gemeinsam nachdenkt.

Mathias:
Ich sage unseren Kunden immer gerne, das ist „Made in Germany“. Das ist schon ein Siegel. Dann sage ich, das ist „Made in South of Germany“, nochmals ein Siegel und schließe mit „Made in Swabia“ - von dort kommen die schönen Autos. Dieses qualitative Siegel ist schon etwas wert. Diese Region hat sehr viel Kraft, weil wir gute Universitäten und gute Mitarbeiter haben. Das kommt unseren Unternehmen zugute und deswegen auch der Region. Und wenn da zwei Firmen sich sehr stark zusammentun, dann zieht das Talente an. Man will ja dort arbeiten, wo etwas entsteht. Bei uns haben die Mitarbeiter extrem positiv auf diese Nachricht reagiert.

Sölkner:
Die Mannschaft in unserem Haus, die wir angesprochen haben, ist gerne mit dabei, auch über das Team hinaus. Bei uns im Key Account Management, beim Kundenprojektmanagement, im Vetter Development Service – die Mitarbeiter haben das sehr positiv aufgenommen.
Talente ist ein gutes Stichwort. Das ist auch in unserer Region ein Thema, wo wir einen gläsernen Deckel im Arbeitskräftepotential aufgrund der demographischen Entwicklung über uns haben. Je attraktiver wir werden, auch als Cluster, umso besser ist das für die gesamte Region, bis nach Ulm hoch.

 

Die aktuelle Pandemie hat die Systemrelevanz der Gesundheitsindustrie aufgezeigt. Muss man sich Sorgen um den Biopharma-Standort Deutschland machen oder ist alles in bester Ordnung?

Sölkner:
Ich denke, dass die Branche wieder mehr in die Mitte der Gesellschaft gerückt wurde. Auf einmal sieht man, dass es ohne sie nicht gehen wird. Ohne schlagkräftige Produkte, die man gemeinsam entwickelt, wird sich die Pandemie nicht bekämpfen lassen. Jetzt interessiert man sich wieder etwas mehr für das Sinnstiftende bei Pharma/Biotech. Das sieht man auch klar bei uns in der Belegschaft. Zum einen war man natürlich froh, dass der eigene Arbeitsplatz nicht von Kurzarbeit oder von anderen Themen bedroht war. Für uns kam es überhaupt nicht in Frage, dass wir aufgrund der Pandemie den Betrieb einstellen. Da draußen gibt es neben Covid-Patienten z.B. auch Krebspatienten, die gerade Therapie haben, bis hin zu vielen Orphan Drugs. All das wird draußen dringend gebraucht. Moralisch-ethisch war es nicht zu verantworten, das zu tun.

Hinzu kommt, dass wir keinem Kunden Covid-bedingt etwas absagen mussten. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren extrem solidarisch untereinander, sind füreinander eingesprungen, selbst wenn einer seine Kinder versorgen musste, weil die Kitas und Schulen geschlossen waren und wir sind den Kollegen entgegengekommen mit einigen Tagen Sonderurlaub. Umgekehrt sind Mitarbeiter, die nicht in den Urlaub konnten, weil in den Dolomiten Skifahren nicht mehr möglich war, sofort eingesprungen, aus der Motivation heraus, auch den Patienten gegenüber. Wir sind vielleicht in naher Zukunft selber an dem einen oder anderen Präparat beteiligt, das sich derzeit in der klinischen Entwicklung befindet. Auf jeden Fall sind wir froh, dass wir trotz aller Umstände Patienten versorgen können.

Mathias:
Es zeigt noch einmal, wie verantwortungsvoll wir umgehen müssen mit dieser Situation und wie wichtig es ist, trotzdem die Produktion aufrecht zu erhalten. Das ist uns in der Tat gelungen.

Sölkner:
Wir haben trotz Corona eine strategische Zusammenarbeit auf die Beine gestellt, indem wir uns vorher zwei Mal persönlich getroffen und den Rest teilweise mit elektronischen Medien hinbekommen haben. Auch so etwas ist möglich.

Mathias:
Die Zusammenarbeit hat tatsächlich mit einem Ellenbogengruß zwischen Herrn Vetter und Herrn Rentschler begonnen.

Die Fragen stellte Walter Pytlik.