08.02.2021

Erst Corona und dann zuckerkrank?

Forschende der Universität Ulm haben herausgefunden, dass SARS-CoV-2 auch die Bauchspeicheldrüse infiziert und dadurch den Zuckerstoffwechsel beeinflusst.

Bild 1: Fluoreszenzmikroskopische Aufnahmen von SARS-CoV-2-infizierten Beta-Zellen aus den Langerhans´schen Inseln des Pankreas. © J. Müller et al., Nature Metabolism, 2021; Bild 2: Zum Ulmer Team gehören v.l. Rüdiger Groß, Carina Conzelmann, Prof. Martin Wagner, Jana Krüger, Prof. Alexander Kleger, Dr. Sandra Heller, Prof. Jan Münch und Dr. Janis Mülle. © Elvira Eberhardt / Uni Ulm

 

 

 

SARS-CoV-2 befällt nicht nur die Lunge. Schwere COVID-19-Erkrankungen können neben den Atemwege  auch den Verdauungstrakt sowie das Herz-Kreislauf- und Nervensystem betreffen. Dass das Virus außerdem die Bauchspeicheldrüse infiziert und somit die Regulation des Blutzuckerspiegels stört, konnten Forschende der Universität Ulm nun nachweisen.

 

Die Studie der Ulmer Universitätsmedizin – ein gemeinsamen Projekt der Inneren Medizin 1, des Instituts für Molekulare Virologie und des Instituts für Pathologie – belegt, dass SARS-CoV-2 vor allem bei gravierenden Krankheitsverläufen die insulinproduzierenden Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse infiziert .

 

„Aktuelle Studien berichten dazu über Verschlechterungen bekannter Diabetes mellitus Erkrankungen, aber auch über Fälle von neu aufgetretenem Diabetes nach durchgemachter COVID-19 Erkrankung“, erläutert einer der Studienleiter, Professor Alexander Kleger, dessen Arbeitsgruppe sich intensiv mit der Erforschung von Pankreas-Erkrankungen beschäftigt.
 


Sars-CoV-2 verschafft sich Zutritt zur Zelle über körpereigene Proteine
Indem die Forschenden zunächst Gewebe aus der Bauchspeicheldrüse mit SARS-CoV-2 in Kontakt gebracht haben, konnten sie zeigen, dass sich die sogenannten Langerhans‘schen Inseln, in denen sich die insulinproduzierenden Beta-Zellen befinden -  mit dem Coronavirus infizieren lassen.


„Diese Beta-Zellen exprimieren bestimmte Eiweißmoleküle, ohne die SARS-CoV-2 die Zellen nicht infizieren kann. Die körpereigenen Proteine TMPRSS2 und ACE2 sind sozusagen das Schloss, über das die Coronaviren mit ihrem Schlüsselprotein `Spike´ in die Zellen eindringen. Daraufhin vervielfältigen sich die Virus-Bausteine, und viele neue infektiöse Viruspartikel werden freigesetzt.“, erklärt Professor Jan Münch, Studienleiter vom Institut für Molekulare Virologie.

 


Mit Sars-CoV-2-infiziertes Gewebe zeigt Veränderungen in Form und Funktion
In ihren Experimenten konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler feststellen, dass sich infiziertes insulinproduzierendes Gewebe in Form und Funktion entscheidend verändert.


„Dabei fiel auf, dass die Anzahl der Insulin-Granula reduziert war, in denen die Beta-Zellen das Insulin speichern. Kein Wunder also, dass in diesen Fällen die Ausschüttung dieses lebenswichtigen, Blutzuckerspiegel-regulierenden Hormons gestört war“, betonen Dr. Janis Müller und Dr. Sandra Heller, die ebenfalls federführend an der Studie beteiligt waren.

 

Die Forschungsergebnisse, die im renommierten Fachmagazin "Nature Metabolism" veröffentlicht wurden, erklären möglicherweise, warum sich der Zuckerstoffwechsels bei coronakranken Diabetikern verschlechtert und warum bei COVID-19 Patienten Symptome auftreten, die typisch für Diabetes mellitus vom Typ1 sind. Die dringend behandlungsbedürftigen Symptome reichen dabei von einer gravierenden Überzuckerung bis hin zu einer Übersäuerung des Blutes.



Weitere aufschlussreiche Befunde

Im Rahmen der Studie wurden in enger Zusammenarbeit mit der Uniklinik Heidelberg außerdem Autopsien an verstorbenen
COVID-19-Patienten durchgeführt. Hierbei konnten die Pathologen des Forscherteams eine SARS-CoV-2-Infektion des Pankreas nachweisen. 


„Das Erstaunliche daran: Selbst nachdem in der Lunge keine Virusproteine mehr zu finden waren, konnten diese in der Bauchspeicheldrüse noch nachgewiesen werden, und dies bei unterschiedlich langen Krankheitsverläufen“, sagt Professor Thomas Barth, der als Pathologe des Universitätsklinikums Ulm an der Studie beteiligt war.


Dies deutet möglicherweise darauf hin, dass das neuartige Coronavirus nicht nur außerhalb der Lunge aktiv ist und andere Organe infiziert, sondern dass diese Infektionen häufiger und andauernder sind als bisher angenommen.


Das Forschungsteam konnte außerdem feststellen, das auch andere, also nicht insulin-produzierende Bereiche der Bauchspeicheldrüse von Sars-CoV-2 betroffen sein können. So zeigten sich in den Untersuchungen auch Infektionen mit Coronaviren im dem Pankreasgewebe, das normalerweise Verdauungsenzyme produziert und im Zwölffingerdarm freisetzt, damit Fette, Kohlenhydrate und Eiweisen aufgespalten werden können.


„Bekannt ist bislang, dass aktive COVID-19-Erkrankungen auch von Entzündungen der Bauchspeicheldrüse begleitet werden“, erklärt Professor Kleger, der am Uniklinikum Ulm die Bauchspeicheldrüsenambulanz leitet.
Welche Relevanz dies für den klinischen Krankheitsverlauf hat, ist jedoch noch unklar.


Noch offen ist zudem die Frage, ob die akut auftretenden Beeinträchtigungen der Insulinproduktion bei Covid-19-Patienten zu einer langfristigen Diabetes-Erkrankung führen oder nicht. "Auch hier brauchen wir auf jeden Fall weitere Studien", betont das Forscherteam.

 


Groß angelegtes Forschunsgprojekt

Beteiligt an dem Forschungsprojekt waren neben den Ulmer Pankreas-Spezialisten, Virologen und Pathologen auch Physiologen, Mikrobiologen und Elektronenmikroskopiker der Universität Ulm sowie weitere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem In- und Ausland.

 

Finanziert wurde die Studie unter anderem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Fokus-Förderung zu COVID-19), der Europäischen Union ( „Fight-nCoV“) sowie vom Bund, vom Land und von weiteren Fördereinrichtungen und Stiftungen.

 

 

 

 

 


Quellen

Universität Ulm. (2021, 03. Februar). Erst Corona und dann zuckerkrank? SARS-CoV-2 infiziert auch die Bauchspeicheldrüse [Pressemeldung].


SARS-CoV-2 infects and replicates in cells of the human endocrine and exocrine pancreas. Janis A. Müller, Rüdiger Groß, Carina Conzelmann, Jana Krüger, Uta Merle, Johannes Steinhart, Tatjana Weil, Lennart Koepke, Caterina Prelli Bozzo, Clarissa Read, Giorgio Fois, Tim Eiseler, Julia Gehrmann, Joanne van Vuuren, Isabel M. Wessbecher, Manfred Frick, Ivan G. Costa, Markus Breunig, Beate Grüner, Lynn Peters, Michael Schuster, Stefan Liebau, Thomas Seufferlein, Steffen Stenger, Albrecht Stenzinger, Patrick E. MacDonald, Frank Kirchhoff, Konstantin M. J. Sparrer, Paul Walther, Heiko Lickert, Thomas F. E. Barth, Martin Wagner, Jan Münch, Sandra Heller ✉ and Alexander Kleger, in: Nature Metabolism, doi 10.1038/s42255-021-00347-1